DIE SCHÖPFENDE

Mit ihrem gepflegten Kleidungsstil könnte Katja Peter einer ihrer eigenen Illustrationen entsprungen sein. Hinter dem perfekten Erscheinungsbild steckt jedoch ein verletzlicher, analytischer, aber auch humorvoller Geist.

Es muss um das Jahr 2008 sein, als ich einen Anruf von Katja Peter erhalte. Sie klingt aufgebracht, ihre Stimme stockt. Sie beklagt sich, dass ich ihre Arbeit ignoriert hätte, als ich eine Kritik über ein Restaurant schrieb. Sie hatte für das Lokal das gesamte grafische Erscheinungsbild entwickelt – Logo, Schriftzug, die auf den ersten Blick wiederzuerkennende Illustration – und sogar den Namen dafür gefunden. Sie hatte der Restaurantkette buchstäblich das Gesicht verliehen. Von den Betreibern des Gastronomieunternehmens sei sie wie viele andere auch betreffend Urheberrecht übervorteilt worden. Ebenso unverstanden fühle ich mich während des Gesprächs, besteht eine Restaurantkritik doch in erster Linie darin, übers Essen, über den Service und allenfalls das Ambiente zu schreiben. Genervt hänge ich auf – und Katja lässt, so stelle ich mir vor, enttäuscht den Hörer sinken.

Heute erinnert sie sich nicht mehr an das Gespräch. Sie sagt: «Ich erlebte turbulente Zeiten.» Sie durchschritt damals, wie ich erst jetzt erfahre, eines der tieferen Täler ihres Lebens – ein Tal, so stelle ich mir vor, in dem die Nebel dicht, die Dämonen stark und die Orientierungslosigkeit beängstigend sind. Bei mir führte das unangenehme Gespräch indessen zu einer Vorsicht, die mich bei jeder späteren Begegnung mit Katja wie ein Schatten begleiten sollte.

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Als ich an ihrem Wohnort eintreffe, winkt sie mir fröhlich vom oberen Ende des steilen Strässchens zu, an dem sie wohnt. Schon von weitem leuchtet mir ihr feuerrotes Kleid entgegen, die Szene wirkt wie aus einem Film der 1950er-Jahre. Mir sticht ihre bis aufs letzte Detail definierte Gepflegtheit ins Auge. Hinter ihrer überwältigenden Herzlichkeit, mit der sie mich empfängt, spüre ich aber auch eine gewisse Vorsicht – wie ein fernes Echo unserer früheren Gespräche. Freudig führt sie mich in ihre Wohnung, in der nichts dem Zufall überlassen scheint: Jedes Objekt hat seinen ihm bestimmten Platz, jedes Detail hat seine Bedeutung. In einem Zimmer steht ein elektronisches Schlagzeug; auf den Regalen thronen, farblich aufeinander abgestimmt und einen eigenen Rhythmus generierend, Vasen, kleine gerahmte Bilder und Objekte – blau zu blau, rot zu rot, grün zu grün, gelb zu gelb: Struktur und Ordnung, eine innere Mechanik.

Aus dem luftig gestalteten Wohnzimmer mit ausgesuchten Designstücken öffnet sich eine ausladende Sicht auf das Städtchen auf der anderen Seite des Flusstals, man fühlt sich erhaben hier oben. Katja kennt die Geschichte ihrer Aussicht und des sich im Umbau befindenden Thermalbades gegenüber genau; an einer Wand hängen Stiche des alten Gebäudes. In ihrem Schlafzimmer zeigt sie mir ihre Ahnengalerie, Bild an Bild, Augenblicke der vergangenen und vergehenden Zeit. Sie sagt: «Ich habe Jahre mit dem Sammeln von alten Bilderrahmen verbracht und die Bilderwand zuerst am Computer gelayoutet.» Auf dem Boden liegt ein Leopardenfell, der Kopf des Tiers mit dem aufgerissenen Maul schaut mich bedrohlich an. Vor einem mannshohen Bild des 60er-Jahre-Models Twiggy steht eine Marienstatue. Überall entdecke ich optische Gegensätze, die Katja spielerisch zu etwas Neuem zusammenfügt. Sie schafft so neue Perspektiven und füllt sie mit versteckten Kommentaren. Katjas hintersinniger Humor zeigt sich auch in ihrem Kichern, das bisweilen aus ihr herausbricht.

[Ich denke: Ihr Humor ist scharf, ihre Installationen haben etwas Durchtriebenes, Schalkhaftes. Was dahintersteckt, kann ich teilweise nur erahnen, vieles bleibt kryptisch. Sind sie ein Kommentar zur Wirklichkeit? Wird die Realität so erträglicher?]

Wir sitzen unter der Gartenlaube, das frühsommerliche Sonnenlicht spielt mit ihrem leuchtend roten Kleid. Wenn Katja von ihren Ideen und ihrer Arbeit spricht, nimmt sie Stufe um Stufe, steigt in ihrem Gedankengang höher und höher, nimmt Abzweigungen und Abkürzungen, kommt zurück auf den Ursprung: Unter mir entfaltet sich ein dicht gewobenes Ganzes mit Ausläufern in viele Richtungen, manches verschwindet in einer nebligen Ferne, anderes tritt klar hervor. Manchmal gerate ich bei diesen Aufstiegen ausser Atem, so dass es mir schwerfällt, zu folgen. Als sie aber von ihrer Herkunft erzählen soll, wird sie plötzlich ruhig, ein Schatten legt sich über ihr Gesicht und ihre Intensität erhält eine dunklere Färbung. Sie sagt: «Die Familie belastet», und starrt eine Weile in die Leere vor sich.

Geboren 1969 in Baden, wächst Katja in Ennetbaden auf. Einer der beiden Grossväter erfand als Ingenieur bei Brown Bovery & Cie. (heute ABB) den Elektrowickler und erklärt ihr als Kind die Mechanik von Turbinen. Von ihm lernt sie das systematische Denken und Planen. Der andere Grossvater bringt ihr als Hufschmied das praktische Handwerk nahe. Den Vater, ein Schreiner und Musiker, erlebte sie ebenso als überfordert wie die Mutter; sie waren bei ihrer Geburt knapp 22 Jahre alt. Die Eltern hätten sie in ihrem Wesen und ihrem Tun chronisch abgewertet. Das hat, so stelle ich mir vor, tiefe Narben hinterlassen. Sie sagt: «Heute verstehe ich mich gut mit meinem Vater, wir arbeiten sogar gemeinsam an künstlerischen Projekten.

Früh entdeckt Katja die Musik als Fluchtort. Sie beginnt täglich stundenlang zu üben. Sie sagt: «Ich baute mir in der Musik meine eigene Welt, dort fand ich meine Ruhe.» Sie erzählt, wie sie einmal in den Ferien täglich so lange den Sand gesiebt habe, bis nur noch der Glimmer übrigblieb – zehn Tage lang. Als ihr Bruder in die Schlagzeugstunden geht und mit Noten nach Hause kommt, ist sie es, die sich ans Instrument setzt und übt. Sie nennt es «Flucht durch Superkonzentration» und «konstruktive Flucht» und grinst. Lächelnd fügt sie an, als Kind habe sie ein Genie werden wollen.

Nach einer Grafiklehre wendet sie sich ganz der Musik zu und geht in den USA an eine renommierte Musikschule. Zurück in der Schweiz gibt sie Schlagzeugunterricht und gründet eigene Bands. Ich lerne sie als Schlagzeugerin einer Band namens «Burning Chrome» kennen und bin ebenso fasziniert von Katjas Energie, wie von ihrer Eleganz. Ein Studio-Job für eine Metal-Band führt allerdings zu kreativen Differenzen mit dem Bandleader. Kurzerhand packt sie ihr Schlagzeug zusammen und verschiebt die Musikkarriere in die Hobbyecke. Sie sagt: «Ich wollte etwas bewegen mit dem Schlagzeug.»

[Ich denke: Welche Künstler sind nicht getrieben durch ihre Obsession? Aus der Not eigene Welten schaffen, Neues errichten, Fluchtpunkte finden, die sich in Türen zur Innovation verwandeln. Die Suche nach dem Ausweg, das weite Feld, das sich danach auftut.]

Katja steht auf, nimmt eine kleine Kettensäge zur Hand, schaut sie grinsend an und führt sie freudig vor. Auf einer Ablage auf der Veranda liegt ein dickes Buch, in der die gesamte Pflanzenwelt beschrieben steht: «Botanica: Das ABC der Pflanzen». Sie sagt: «Ich liebe die Gartenarbeit.» Stundenlang entwurzle sie Büsche, jäte und pflanze Neues. Auch hier verwandelt sie das Land in ein neues Ganzes, bis es für sie stimmt. Sie sagt: «Mummy Nature ist sehr effizient und inspirierend» und lacht. Der Wind spielt mit einem kleinen Buddhakopf, der an einem Band von der Pergola baumelt.

2007 gebärt sie einen Sohn. Ursprünglich habe sie keine Kinder gewollt. «Do not copy!», lautete ihre Devise angesichts ihrer eigenen Kindheit. Doch die biologische Uhr tickte und sie entschied sich mit ihrem Partner, etwas mit Hand und Fuss zu machen. Sie sagt: «Die Hebelwirkung der Hormone ist nicht zu unterschätzen», und blickt in die Ferne, eine Leere, die sich irgendwo vor ihr auf dem Gartentisch ausbreitet. Ein Kind zu haben sei intensiv auf jeder Ebene, aber sehr bereichernd. Sie zieht ihren Sohn auf, führt ihre Firma zu Wachstum, erhält bedeutende Aufträge und durchlebt die Trennung vom Partner. Sie sagt: «Wir sind da, um zu wachsen und uns zu verfeinern.»

Wenn sie spricht, beugt sie sich oft vor, duckt sich, gestikuliert ausladend mit den braungebrannten Armen. Sie redet vorwärtsgewandt, fast angriffig, und lehnt sich erst zurück, wenn sie sich verständlich gemacht hat. Sie holt weit aus, verbindet auf den ersten Blick entfernt auseinanderliegende Punkte. Sie redet von Mechaniken und Systemen, davon, wie die Medien lediglich darauf ausgelegt seien, Kampf und Furcht zu schaffen. «Die Wahrheit ist selten im Angebot, die Nachfrage ist zu gering», zitiert sie einen deutschen Ökonomen – und lacht ein rückwärts atmendes Lachen. Will sie einen Punkt unterstreichen, fügt sie ein langgezogenes, aus der Höhe fallendes «Ja…» an.

Es scheint aber auch, als würde ständig etwas in ihr rattern. Sie verstehe das Leben als ein endlos sich drehendes Rad, nicht als lineare Zeitachse. Sie spricht von Herz und Verstand, wie diese einander entgegengesetzt sind, und wie wichtig es ihr ist, das Dazwischenliegende zu benennen – die Verbindung und die Auflösung der Pole. Sie ist fasziniert von Metaphysik, spricht von Chakras und wie leicht manipulierbar der Verstand sei. Die Medien würden dies ausnutzen, indem sie fortwährend Angst schürten. Sie sagt: «Angst wirkt auf das Wurzelchakra mit einem Gefühl der Bedrohung. Der Mensch geht dadurch in einen Kampf-und-Flucht-Modus über, der Verstand wird ausgehebelt. Das macht die Menschen manipulierbar und empfänglich für Lösungen, die vermeintlich die Stabilität wiederherstellen – und damit offen für die Bewerbung von Produkten. Konsum soll die Stabilität wiederherstellen.» Katja sieht dahinter ein System. Das Ego liebe das Drama, sagt sie, das Herz hingegen kenne nur das Ja. Stundenlang hört sie Podcasts zu Themen wie diesen. Sie sagt: «Ich habe meine Vordenker – was dächte ich bloss ohne Friedrich [Nietzsche]!» Sie sieht sich aber nicht als Eso-Tante.

[Ich denke: Sie taucht in für mich befremdliche Welten ein, schwimmt bis zu deren Boden. Sie schafft Gedankenkonstrukte, auf denen auch ihre Arbeiten fussen. Ist der analytische Bau, den sie errichtet, ein Gerüst, um nur sie zu halten, oder vermag es auch andere zu tragen? Ich selbst fühle mich überfordert, befinde mich im freien Fall. Bin ich zu wenig offen?]

Ihre Illustrationen, die grafischen Systeme, die Signaletik und Branding-Konzepte, die sie entwickelt, sprechen eine kristallklare Sprache. Ihr Anspruch sei die Reinheit. Sie sagt: «Je unverdorbener ein Betrachter ist, desto mehr Positives löst das Resultat bei ihm aus.» Sie selbst gibt sich, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigt, die gleiche klare Linie: das rote Kleid, die darauf abgestimmten Schuhe, die nach hinten gebundenen Haare, das Make-up. Ich habe sie auch schon komplett in Grün oder Weiss erlebt. Oft trägt sie Kleider, die an die 1950er- oder auch 1970er-Jahre erinnern. Sie sagt: «Im Chanel-Kleid gehe ich natürlich nicht Holz spalten.» Kleidung sei immer auch Marketing.

Heute widmet sie sich zunehmend der Kunst, schätze aber interessante Aufträge nach wie vor. In Werke investiere sie bei Bedarf Jahre, bis sie vollendet sind. Sie liebt Gegensätze und Wortspiele. Im Netz präsentiert sie ihre Kunst auf https://www.instagram.com/katjalysator_visualdope/ und die Arbeit als Dienstleisterin unter visualdope.com. Auf ihrer Visitenkarte nennt sie sich Wertschöpferin. Ihre freien Arbeiten tragen Titel wie «United Republic of Eumerika», in einer neueren Kunstarbeit konstatiert sie: «Jedes Medikament hat ein Recht auf eine Krankheit.» Einige Kunstarbeiten enthalten politische Aussagen, andere sind grafisch auf den Punkt gebrachte Illustrationen. In vielen steckt hintersinniger Humor, ein Lachen über die Welt. Ihre Designs und Werke sind aber auch Abbilder ihrer selbst, ihres Denkens und der Schlüsse, die sie daraus zieht. Die Bildreihe «Fluctuant Body Image – FBI» besteht aus hunderten von Fotos: Seit fast 20 Jahren fotografiert sie sich monatlich – je einmal angezogen und nackt. Ich denke: Sie könnte einer ihrer eigenen Illustrationen entsprungen sein, sie macht sich selbst zu einem Kunstwerk. Sie sagt: «Manche Menschen haben Angst vor meiner Direktheit» und fügt an: Diplomatie sei noch eines ihrer grossen Ziele.

Wir begeben uns ins Wohnzimmer, ich will von ihr ein paar Fotos schiessen. Plötzlich nimmt sie an einem elektrischen Piano Platz, das auf einem grossen, versteinerten Baumstrunk steht; sie selbst sitzt auf einem tiefen Tritt, der zum angrenzenden, ausschliesslich in Rot- und einigen Goldtönen ausgestatteten Raum führt, und beginnt ein eigenes Stück zu spielen. Sie sagt: «Ich möchte die Menschen im Kern berühren.» So am Klavier sitzend wirkt sie verletzlich und nah bei sich. «La Ballade Neurotique Pour Les Enfants Tristes» nennt sie die Eigenkomposition. Sie versinkt ins Spiel und scheint plötzlich weit weg zu sein. Ich drücke ab.

Texte und Fotos:
Jan Graber, Mai & Juli 2018
Illustration: Katja Peter
Katja im Netz: www.visualdope.com , https://www.instagram.com/katjalysator_visualdope/